Interview mit Uzai Menachem, geführt von Sybille Baumbach, am 22.8.1993.

    [] U: obwohl sie, die Eltern so religiös war’n, und die Großeltern so religiös war’n, die haben, die ham sich als deutsche Bürger gefühlt.
    B: Ja.
    U: Das war ihr, ihr Vaterland, und eben deutsche Bürger mit jüdischem Glauben.
    B: Ja.
    U: Aber ich bin heute wieder ganz anders, wegen, was passiert is’.
    B: Ja.
    U: Ich, ich bin jetzt Israeli. Ich bin stolz, daß ich Jude bin. Ich bin stolz, daß ich Israeli bin. Und eh, ich weiß, daß die junge Generation, so wie Sie und Leute, die ich in der Straße seh’, die, die sind nich’ dra-, die können auch nich’ dran schuldig sein. Die sind nich’ dran schuldig, was war. Aber, aber ich kann das nie vergessen, was man ...
    B: Ja.
    U: ... mir persönlich angemacht hat, was man den Eltern gemacht hat, der, die Familie, mein ganzes Volk gemacht hat, das kann ich nie vergessen. Und eh, und eh, ich fühl’ mich deshalb noch stärker als, als Israeli, als Jude; jüdischer Israeli. Und die größte, wenn, wenn ich mich so ausdrücken kann, die größte Rache, die ich habe, nich’, Gott behüte!, etwas zu machen zu jemand, weil man mir das gemacht hat, aber wenn ich seh’, ich hab’ ein’ jüdischen Staat ... Also die Nazis, Hitler und die Nazis ham uns doch gewollt ... Wie hat er sich eh, ausgedrückt, der, der, der Hitler? Ausradier’n.
    B: (gleichzeitig) Aus(radier’n -?).
    U: Ausradier’n.
    B: Ja.
    U: Also das jüdische Volk, Volk is’ noch da. Wir ham ein’ Staat. Ich hab’ Kinder, ich guck’ die Kinder, ich seh’ die Kinder, und ich seh’ die Enkelkinder. Das is’ die größte Rache, die ich hab’. Dann weiß ich, das jüdische Volk lebt noch. Und wird noch leben bl- ... Weil er hat doch gemeint, das, es wird kein jüdisches Volk mehr sein.
    B: Ja. Herr Uzai, Sie sind das erste Mal wieder in Deutschland?
    U: Ja. Ja.
    B: Und es is’ sicherlich für Sie sehr schwer ...
    U: Sehr schwer, ja.
    B: ... gewesen. Sie ham wahrscheinlich lange ...
    U: Jaja.
    B: ... drüber nachdenken ...
    U: Ja, ich hab’ lange nachgedacht.
    B: ... müssen, ob Sie überhaupt fahr’n.
    U: Aber ich will noch einmal, ich will tro-, trotzdem noch einmal seh’n, die Gräber meiner Großeltern, die hier be-, begraben sind in Hamburg. Und ich hab’ gewollt sehen, wo ich gewohnt hab’, wo wir gebor’n ham, wo wir gebeten haben. Die erste Sache, die am, am, sofort wie wir hierhergekommen sind, den ersten Tag bin ich mit mei-, meiner Frau gegangen, und wir sind in den Grindel gegangen. Ich hab’ ihr gezeigt die Schule, die Talmud-Thora-Schule. Wo ich, wo ich und mein Bruder und mein Vater und meine Onkels, wo sie alle zur Schule gegangen sind, wo mein Großvater 50 Jahre Lehrer war. Und dann hab’ ich ihr gezeigt, die, die, die, wo der Bornplatz, wo die Synagoge gestanden hat. Und dann in der Rutschbahn eh, wo die alte Neue Klaus noch steht, und wir könnten nich’ reingeh’n, dort is’ eine Fabrik oder was, aber is’ zu, zu. Und von dort hab’ ich ihr gezeigt Brahmsallee 16. Und Parkallee 20, wo ich gebor’n bin. Und die El-, die Großeltern ham mal gewohnt in der Hansastraße. Dann sind wir bis zu der Isestraße gegangen, wo die Großmutter, auch die Großeltern gelebt haben, und mein Onkel hat dort gelebt am Eppendorfer Baum 19. Und das hab’ ich noch mal gewollt einmal seh’n.
    B: Ja.
    U: Das and’re, ich sage nich’, es int’ressiert mich nich’, aber das, deswegen wär’ ich nich’ nach Hamburg gekommen.
    B: Ja. Herr Uzai, Sie ham anscheinend früher nicht überlegt, nach Hamburg zu kommen ...
    U: Ja.
    B: ... und die [unleserliches Material] ...
    U: Ich hab’ gemeint, ich wer-, meine Füße wer’n nie mehr den deutschen Boden treten.
    B: Ja, das kann ich versteh’n.
    U: Wie wir sind über, über deutschen, wie wir sind reingekommen über Deutschland, da hat meine Frau gesagt, das aber so schön. Da hab’ ich ihr gesagt: "Ja, aber der Boden is’ mit jüdischem Blut ... eh, ein- ... Wie sagt man?
    B: Markiert ...
    U: Ja.
    B: ... oder besetzt.
    U: Ja, ja, ja.
    B: Ja. … Können Sie sich vorstellen, Herr Uzai, warum Sie jetzt, wo Sie älter sind, doch kommen konnten?
    U: Weil ich will noch einmal, ich will nur noch einmal seh’n die, die Wurzeln, von wo ich gekommen bin. Also, ich hab’ keine Wurzeln hier. Die Wurzeln hat man mir rausgezogen. Ich hab’ sie nich’ alleine ... So wie hier früher, so wie ich, sie früher gesagt ham: Meine Eltern ham geglaubt, sie sind jü-, die sind, die sind gute Deutschen und gute Hamburgern. Also, ich hab’ keine Wurzeln hier, die hat man raus ... Aber ich, es int’ressiert mich, noch einmal zu sehen, von wo ich gekommen bin.
    B: Ja.
    U: Und, wie ich Ihnen gesagt, ich will die, die, die, die eh, eh, die Gräber von meinen Großeltern sehen.
    B: Ach, waren Sie ...?
    U: Und vielleicht ...
    B: Ja.
    U: ... von einem Onkel, der schon keine Kinder, wo, die alle umgekommen sind. Und ich wei-, also eine Familie, die, die ältere Schwester von meinem Vater, die ham im, im Grindelhof, glaub’ ich, die ham im Grindelhof gewohnt, und da is’ keiner nich’ zurückgekommen. Und der, und der Onkel, der is’ noch 1940 natürlich gestorben. Ich will dort auch gehen, zu dem Grab.
    B: Ja.
    U: Einmal.
    B: War’n Sie schon auf dem orthodoxen Friedhof in ...
    U: Nein, ...
    B: ... Langenfelde?
    U: ... Mrgen, morgen werd’ ich hingeh’n.
    B: Ja.
    U: Morgen werd’ ich dort sein.
    B: Ja.
    U: Ich war dort, wie, als Kind!
    B: Ja.
    U: Aber (lacht kurz leicht) ... Morgen werd’ ich dort hingeh’n.
    B: Ja. … Is’ wahrscheinlich sehr schwierig für Sie, hier zu sein?
    U: Ja.
    B: Hier in Hamburg.
    U: Ja.
    B: Bereuen Sie, daß Sie gekommen sind oder denken Sie ...?
    U: Nein, ich bereu’ nich’. Aber wenn ...
    B: Ja.
    U: ... ich in der Straße geh’, und ich seh’ Leu-, ältere Leute, dann, dann, ich sag’ auch zu meiner Frau die ganz’ Zeit, dann bin ich immer sehr, obwohl es muß nich’ jeder ge-, ge-, sein, aber, aber ich sag’ zu meiner Frau: "Der war sicher ein Nazi. Vielleicht war der ein Mörderer. Vielleicht hat der meine, meine Eltern zum Bahnhof ...”
    B: Ja.
    U: "... gezwungen, dort hingenommen.” Wenn ich jemand, jemand seh’, der älter is’ wie ich. —
    B: Ja. Mh. Das kann ich gut versteh’n. Mh. Is’ es anstrengend hier zu sein?
    U: Ja.
    B: Ja.
    U: Seelisch anstrengend.
    B: Ja.
    U: Ja, ja.
    B: Das glaub’ ich.
    U: Mh. Ich hab’, die erste Nacht hab’ ich nich’ geschlafen. Und man hat uns genommen, man hat uns gezeigt, das hab’ ich nich’ gewußt, dort neben dem Ba-, Dammtor-Bahnhof, da is’ eine Wiese ...
    B: Ja.
    U: ... mit einem Denkmal, und da hat man uns gesagt, daß die, man hat die Juden in, in 1941 im November, bevor man sie nach Ost-Deutschland geschickt hat, hat man dort die ganzen Juden gesammelt dort.
    B: (Das war eine Sammelstelle. -?)
    U: Und die war’n dann, nachts war’n sie in dem großen Gebäude eh, rechts. Und da war’n meine Eltern dabei. Weil meine Eltern im November weggeschickt worden sind.
    B: Ja.
    U: Und sicher, das is’ sehr schwer für mich. []  Rausgekürzt: Erinnerungen an die Schulzeit, Kindertransport, Umgang mit der Vergangenheit
    B: Ja. Am Dienstag fliegen Sie zurück.
    U: Nein, am Dienstag eh, fliegen wir weiter in die Schweiz.
    B: Nach Zürich.
    U: Nach Zürich.
    B: Ja.
    U: ’ne Woche bleiben wir dort. Und dann fahr’n wir wieder zurück nach Hause.
    B: Ja. Vielleicht wollen Sie nochmal ...
    U: Und die, wir machen dort Ferien. Und die, die Dame in dem Büro, in dem Reisebüro hat gesagt: "Warum fährst du na-, in, in die Schweiz? Das kost’ doch f-, du könntest bleiben in, in Deutschland, es wär’ billiger.” Und da hab’ ich ihr gesagt, daß in Deutschland will ich keine Ferien machen. Das sind nich’ Ferien für mich.
    B: Mhm. []

    Quellenbeschreibung

    Das Interview mit Uzai Menachem wurde während seines Aufenthaltes in Hamburg im Rahmen des Besuchsprogramms im August 1993 geführt. Es war das erste Mal, dass Uzai Menachem in die Stadt zurückkehrte, wo er 1928 als Max Isaak geboren wurde und mit seinen Eltern und Geschwistern zunächst in der Parkallee, dann in der Brahmsallee wohnte. Mithilfe eines Kindertransportes konnte Max Isaak (Uzai Menchaem) nach England fliehen und emigrierte später von dort aus nach Palästina / Israel. Seine Eltern, eine Schwester und ein Bruder wurden von den Nationalsozialisten ermordet. Für Uzai Menachem bedeutete die Rückkehr nach Hamburg daher eine große psychische Belastung. Wie individuell unterschiedlich Remigrationsentscheidungen sind, zeigen auch die weiteren Interviews aus der FZH / WdE, die hier angehört werden können.

    Empfohlene Zitation

    Interview mit Uzai Menachem, geführt von Sybille Baumbach, am 22.8.1993., veröffentlicht in: Hamburger Schlüsseldokumente zur deutsch-jüdischen Geschichte, <https://schluesseldokumente.net/quelle/jgo:source-273> [03.05.2024].