Ida Ehre und die Hamburger Kammerspiele

Michaela Giesing

Quellenbeschreibung

Die Fo­to­gra­fie aus dem Jahre 1947 zeigt eine das Bild fül­len­de, trau­ern­de Frau. Sie trägt eine Kutte aus Sack­lei­nen, dem sei­ner­zeit be­vor­zug­ten Er­satz­stoff für Thea­ter­kos­tü­me, in das sich aber auch Büßer zu klei­den pfle­gen; die Haar­tracht hin­ge­gen weist in ar­chai­sche Zei­ten zu­rück. Der Kör­per ist zur Seite ge­neigt, der Blick ge­senkt, doch die aus­ge­streck­ten Arme ver­lei­hen der Figur eine ver­hal­te­ne Kraft und dem Bild eine Dy­na­mik, in der sich Er­ge­ben­heit und Wi­der­stand die Ba­lan­ce hal­ten.

Die in de­li­ka­ten Grau­tö­nen ge­zeich­ne­te Ver­grö­ße­rung, ein Sil­ber­ge­la­ti­ne­ab­zug im For­mat 28,7 x 21,5 cm, ist rechts unten von der Ur­he­be­rin, der Thea­ter­fo­to­gra­fin Ro­se­ma­rie Clau­sen, si­gniert. Die Rück­sei­te trägt deren Na­mens­stem­pel samt Adres­se und den von un­be­kann­ter Hand no­tier­ten Hin­weis: „Die Troe­rin­nen / Eu­ri­pi­des – Wer­fel / Regie Ul­rich Er­furth“. Reste eines Passepartout-​Kartons, auf den das Foto einst mon­tiert wor­den war, sowie der Ver­merk in der Hand­schrift Clau­sens „Aus­stell­bil­der Re­pro­duk­ti­on nur nach Rück­fra­ge“ er­in­nern an den Ver­wen­dungs­zweck. Ort der Aus­stel­lung war wohl das Foyer der Ham­bur­ger Kam­mer­spie­le, dar­auf ver­weist auch die Pro­ve­ni­enz der Fo­to­gra­fie. Eine an­nä­he­rungs­wei­se Da­tie­rung er­mög­licht die auf dem Stem­pel an­ge­ge­be­ne Adres­se; in Ver­bin­dung mit der Si­gna­tur au­then­ti­fi­ziert sie den Abzug als Vin­ta­ge Print, her­ge­stellt von der Fo­to­gra­fin in enger zeit­li­cher Nähe zur Be­lich­tung des Ne­ga­tivs auf einer Fo­to­pro­be im Sep­tem­ber 1947. Das Bild zeigt die österreichisch-​deutsch-jüdische Thea­ter­frau Ida Ehre, die 1945 die zwei­ten Ham­bur­ger Kam­mer­spie­le grün­de­te, diese zu einer der füh­ren­den Büh­nen im Nach­kriegs­deutsch­land aus­bau­te und gegen alle mit der Wäh­rungs­re­form ein­set­zen­den Schwie­rig­kei­ten über mehr als vier Jahr­zehn­te, bis zu ihrem Tode lei­te­te.

  • Michaela Giesing

Die Neugründung der Hamburger Kammerspiele


Im Som­mer 1945, un­mit­tel­bar nach der Be­frei­ung vom Na­tio­nal­so­zia­lis­mus, hatte Ida Ehre be­gon­nen, einen schon lange ge­heg­ten Plan zu ver­wirk­li­chen, näm­lich durch die Grün­dung eines Thea­ters am Wie­der­auf­bau einer hu­ma­nen Welt mit­zu­wir­ken. Die am 9.7.1900 im mäh­ri­schen Prerau als Toch­ter eines Kan­tors ge­bo­re­ne und in Wien auf­ge­wach­se­ne Künst­le­rin hatte in den 1920er-​Jahren eine be­acht­li­che Kar­rie­re auf deut­schen Büh­nen ab­sol­viert. 1933 wurde sie von den Na­tio­nal­so­zia­lis­ten zur Auf­ga­be ihres Be­rufs ge­zwun­gen. Nach einem ge­schei­ter­ten Emi­gra­ti­ons­ver­such war sie im Herbst 1939 zu­sam­men mit ihrem ka­tho­li­schen Ehe­mann, dem Arzt Bern­hard Heyde, und der ge­mein­sa­men Toch­ter Ruth in Ham­burg ge­stran­det, wo sie unter dem fa­den­schei­ni­gen Schutz einer „pri­vi­le­gier­ten Misch­ehe“ wei­ter­hin Dis­kri­mi­nie­rung und Ver­fol­gung aus­ge­setzt blieb. 1943 war sie sechs Wo­chen lang im Po­li­zei­ge­fäng­nis Fuhls­büt­tel in­haf­tiert; im Fe­bru­ar 1945 er­hielt Ida Ehre den De­por­ta­ti­ons­be­fehl. Mit Hilfe einer Kol­le­gin, der Schau­spie­le­rin Ma­ri­an­ne Wisch­mann, konn­te sie aber ab­tau­chen.

Un­ter­stüt­zung für ihren Plan, nun nach Kriegs­en­de ein neues Thea­ter in Ham­burg zu er­öff­nen, fand sie bei dem bri­ti­schen Kul­tur­of­fi­zier John Olden, einem ge­bür­ti­gen Wie­ner, und bei der Jü­di­schen Ge­mein­de. Diese ver­pach­te­te Ida Ehre ihr ehe­ma­li­ges Ge­mein­schafts­haus in der Har­tung­stra­ße 9 / 11. Die Bühne, deren Name an die 1918 von Erich Zie­gel am Be­sen­bin­der­hof ge­grün­de­ten ers­ten Ham­bur­ger Kam­mer­spie­le er­in­ner­te, soll­te nach Ida Ehre „dort wie­der an­knüp­fen, wo die Fäden durch die Zen­sur oder durch Feind­schaft zer­ris­sen wor­den sind.“ Das Thea­ter, so schrieb sie zur Er­öff­nung, müsse dazu bei­tra­gen, „eine neue Ord­nung, neue Wert­maß­stä­be, ein neues Welt­bild auf­zu­rich­ten [] und nur einem Ziel die­nen, dem Ziel aller ech­ten Kunst“, näm­lich durch „die Dar­stel­lung mensch­li­cher Cha­rak­te­re und Schick­sa­le“ die „ewi­gen Wahr­hei­ten zu su­chen und ihnen Aus­druck zu ver­lei­hen.“ Ida Ehre, Unser Stre­ben. Pro­gramm­zet­tel der Ham­bur­ger Kam­mer­spie­le vom 10.12.1945, Staats-​ und Uni­ver­si­täts­bi­blio­thek Ham­burg, Be­stand Ham­bur­ger Thea­ter­samm­lung, Pro­gramm­hef­te der Ham­bur­ger Kam­mer­spie­le, Spiel­zeit 1945/46. .

Dank eines ex­qui­si­ten En­sem­bles und eines in­no­va­ti­ven Spiel­plans er­lang­te das Thea­ter bin­nen kür­zes­ter Zeit hohes An­se­hen bei Pu­bli­kum und Kri­tik. Zu den Mit­glie­dern ge­hör­ten re­nom­mier­te Schau­spie­le­rin­nen und Schau­spie­ler sowie pro­mi­nen­te Re­gis­seu­re, die sich zuvor in Ber­lin na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Pro­pa­gan­da­zwe­cken in un­ter­schied­li­chem Grad an­ge­passt oder ver­wei­gert hat­ten, bei­spiels­wei­se Wolf­gang Lie­ben­ei­ner oder Hel­mut Käut­ner – aber auch vom NS-​Regime ver­folg­te Künst­ler wie der ehe­ma­li­ge Agitprop-​Schauspieler und Über­le­ben­de meh­re­rer Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger Erwin Ge­schon­neck. Mit dem Spiel­plan such­te Ida Ehre an die Tra­di­ti­on der klas­si­schen Mo­der­ne an­zu­knüp­fen; sie führ­te Stü­cke von Dra­ma­ti­kern auf, die vor 1945 ver­femt waren, von Fer­di­nand Bruck­ner etwa oder Georg Kai­ser. Ins­be­son­de­re aber ver­dank­te ihr das Ham­bur­ger Thea­ter­pu­bli­kum die Be­geg­nung mit der in­ter­na­tio­na­len Ge­gen­warts­dra­ma­tik. Mit der Ur­auf­füh­rung von Wolf­gang Bor­cherts Stück „Drau­ßen vor der Tür“ am 21.11.1947 schrieb sie Thea­ter­ge­schich­te.

Die Premiere der „Troerinnen des Euripides“


Die Pre­mie­re der „Troe­rin­nen des Eu­ri­pi­des“, die­ses gro­ßen Kla­ge­lieds der Frau­en und Krie­ger­wit­wen, die im zer­stör­ten Troja der Ge­walt der Sie­ger aus­ge­lie­fert sind, hatte am 27.9.1947 in den Ham­bur­ger Kam­mer­spie­len statt­ge­fun­den. In der dra­ma­ti­schen Struk­tur folg­te der Autor Franz Wer­fel der Vor­la­ge, in Spra­che und Rhyth­mus hin­ge­gen gab er der kurz vor Be­ginn des Ers­ten Welt­kriegs voll­ende­ten Be­ar­bei­tung einen ex­pres­sio­nis­ti­schen Klang. Vor allem aber woll­te der junge Dich­ter die an­ti­ke Tra­gö­die als Aus­druck einer sich an­kün­di­gen­den Epo­chen­wen­de und „den ver­ru­fe­nen Athe­is­ten Eu­ri­pi­des als [] frühe Taube des Chris­ten­tums“ Franz Wer­fel, Vor­be­mer­kung, in: Eu­ri­pi­des, Die Troe­rin­nen. In deut­scher Be­ar­bei­tung von Franz Wer­fel, Leip­zig 1915, S. 9. be­grei­fen. So wird ihm Heku­ba, die um die ge­fal­le­nen Söhne, miss­brauch­ten Töch­ter und er­mor­de­ten Enkel trau­ern­de Kö­ni­gin von Troja, zur Vor­läu­fe­rin einer neuen Gläu­big­keit. Sie wi­der­steht dem Drang zur Selbst­tö­tung und fin­det im Gebet zu dem einen Gott, „Vater, himm­li­scher Vater / [], Vater unser!“ Eu­ri­pi­des, Die Troe­rin­nen, S. 123., die Kraft zum Wei­ter­le­ben. Mit den Wor­ten „Seht her, so nehme ich / Mein Leben an die Brust und trag’s zu Ende!“ Eu­ri­pi­des, Die Troe­rin­nen, S. 127. lässt sie sich von den Grie­chen ab­füh­ren.

Die Ak­tua­li­tät der Tra­gö­die für die Men­schen im Nach­kriegs­deutsch­land liegt auf der Hand; als Trost-​ und Iden­ti­fi­ka­ti­ons­an­ge­bot wurde „Die Troe­rin­nen des Eu­ri­pi­des“ im deut­schen Thea­ter so­wohl nach dem Ers­ten wie nach dem Zwei­ten Welt­krieg re­zi­piert. In Ida Ehres er­grei­fen­der Dar­stel­lung der Haupt­rol­le aber ge­wann diese Of­fer­te eine an­de­re Di­men­si­on und eine per­sön­li­che Note, nahm hier doch eine Ver­folg­te des NS-​Regimes, deren Mut­ter Berta, ge­bo­re­ne Kohn (1866-1942), und Schwes­ter Ot­ti­lie, ver­hei­ra­te­te Kan­ner (1887-1941), von den Na­tio­nal­so­zia­lis­ten er­mor­det wor­den waren, stell­ver­tre­tend für das Pu­bli­kum das Leid der Hin­ter­blie­be­nen auf sich. Sie schenk­te die­sem „das Mit­füh­len ver­wand­ten Lei­des“, wie ihr ein Thea­ter­be­su­cher be­stä­tig­te, „und damit einen tie­fen und blei­ben­den Trost in einer fast schon grund­lo­sen Ver­lo­ren­heit.“ Staats-​ und Uni­ver­si­täts­bi­blio­thek Ham­burg, Be­stand Ham­bur­ger Thea­ter­samm­lung, Ar­chiv Ida Ehre / Ham­bur­ger Kam­mer­spie­le, Sign. Ehre 8.9: Schrei­ben eines Zu­schau­ers an Ida Ehre vom 2.10.1947.

Die In­sze­nie­rung Ida Ehres in die­ser Rolle wird durch die Fo­to­gra­fie un­ter­stri­chen, die Auf­schluss gibt über die se­man­ti­sche An­la­ge der Figur. Als Schau­spie­le­rin kom­mu­ni­zier­te und in­ter­agier­te Ida Ehre mit ihrem Pu­bli­kum, durch die von ihr ge­wähl­ten Rol­len sprach sie die­ses an, pack­te sie es im tra­gi­schen wie im ko­mi­schen Fach. Zu­gleich bil­de­te die Kunst der Schau­spie­le­rin das Er­fah­rungs­re­ser­voir, aus dem die Thea­ter­lei­te­rin schöp­fen konn­te. Das Por­trät ver­weist auf eine der gro­ßen Frau­en­gestal­ten der an­ti­ken Tra­gö­die, die Ida Ehre in zwei ver­schie­de­nen Fas­sun­gen von den 1920er- bis in die 1980er-​Jahre be­glei­tet hat. „Die Troe­rin­nen des Eu­ri­pi­des“ von Franz Wer­fel, eine der sel­te­nen Tra­gö­di­en auf der Bühne der Kam­mer­spie­le, war eine der ein­dring­lichs­ten Pro­duk­tio­nen und die Heku­ba eine Rolle, mit der Ida Ehre ihr künst­le­ri­sches Credo ge­stal­ten sowie ihre Ent­schei­dung, im besiegt-​befreiten Deutsch­land ein Thea­ter zu er­öff­nen, be­grün­den konn­te.

Die Kammerspiele in den 1950er- und 1960er-Jahren


Der Pakt, den Ida Ehre mit ihrem Pu­bli­kum ge­schlos­sen hatte, trug sie und ihr Thea­ter, auch nach­dem die­ses in der Folge der Wäh­rungs­re­form zu gra­vie­ren­den or­ga­ni­sa­to­ri­schen Än­de­run­gen und künst­le­ri­schen Ab­stri­chen ge­zwun­gen war. Zwar sank das Ni­veau des Spiel­plans, doch an dem Vor­ha­ben, mit ihrer Kunst Brü­cken zu schla­gen, hielt Ida Ehre, die 1952 die Ge­sell­schaft für christlich-​jüdische Zu­sam­men­ar­beit mit­ge­grün­det hatte, fest. Sie ließ junge Dra­ma­ti­ker wie Schau­spie­ler sich an ihrer Bühne er­pro­ben und bot aus dem Exil zu­rück­keh­ren­den Thea­ter­künst­lern, dar­un­ter Leo Mitt­ler und Leon Askin, die Chan­ce zum Neu­be­ginn. Eine ex­pli­zi­te Er­ör­te­rung des deutsch-​jüdischen Ver­hält­nis­ses un­ter­blieb je­doch im Spiel­plan der Ham­bur­ger Kam­mer­spie­le wie ge­ne­rell im west­deut­schen Thea­ter der 1950er-​Jahre.

Dies än­der­te sich erst zu Be­ginn der 1960er-​Jahre, als die Aus­ein­an­der­set­zung mit den na­tio­nal­so­zia­lis­ti­schen Ver­bre­chen am jü­di­schen Volk nicht mehr zu ver­drän­gen war. Wich­tigs­ter Bei­trag der Ham­bur­ger Kam­mer­spie­le zu die­sem Dis­kurs wurde die Auf­füh­rung des Schau­spiels „Die Mauer“ im Früh­jahr 1962, das Mil­lard Lam­pell nach dem gleich­na­mi­gen Roman von John Her­sey für den Broad­way ge­schrie­ben und Hans Sahl ins Deut­sche über­tra­gen hatte. Das Stück er­zählt von Men­schen im War­schau­er Getto, von deren un­ter­schied­li­chen Ver­hal­tens­wei­sen in Re­ak­ti­on auf die zu­neh­men­de Ge­walt, bis sie im Wi­der­stand zu­ein­an­der fin­den. Das po­li­ti­sche Thea­ter der 1960er-​Jahre hin­ge­gen, des­sen Au­toren nach Dra­ma­tur­gien such­ten, um die für die Ver­bre­chen gegen die Mensch­lich­keit Ver­ant­wort­li­chen an­zu­kla­gen, stand Ida Ehres Idee eines „Thea­ters der Mensch­lich­keit“ fern. Die­ses griff statt­des­sen für die Un­ter­le­ge­nen, die Au­ßen­sei­ter und die Zu­kurz­ge­kom­me­nen Par­tei, indem es ihnen die Bühne frei­gab.

Neueinstudierungen der „Troerinnen“


So kam es auch bei der Neu­ein­stu­die­rung der „Troe­rin­nen“, die 1970 zum 25-​jährigen Be­stehen der Kam­mer­spie­le wie­der­um in Wer­fels Fas­sung ge­spielt wurde, zu Kon­flik­ten. Wäh­rend 1947 der Schau­platz nur vage mar­kiert wor­den war, woll­te der Re­gis­seur der Neu­in­sze­nie­rung, Joa­chim Font­heim, die Hand­lung der Tra­gö­die in die Zeit­ge­schich­te ver­le­gen und Wacht­tür­me eines Kon­zen­tra­ti­ons­la­gers auf die Bühne stel­len. Was in den Vor­stel­lun­gen von 1947 durch die Bio­gra­fie der Prot­ago­nis­tin un­aus­ge­spro­chen mit­ge­schwun­gen und da­durch Ida Ehres An­ge­bot, mit­zu­wir­ken am ver­meint­li­chen Neu­be­ginn, be­glau­bigt hatte, soll­te nun in Kon­fron­ta­ti­on und An­kla­ge um­ge­wan­delt wer­den. Dies aber war nicht im Sinne der Prin­zi­pa­lin. Sie ver­wahr­te sich gegen eine sol­che Ver­äu­ßer­li­chung der Ge­walt und er­in­ner­te den Re­gis­seur daran, dass „[b]ei Eu­ri­pi­des und Wer­fel [] diese Ge­walt klar [wird] durch die Spra­che, das Mensch­lichs­te also. Sie liegt beim Men­schen und nicht bei sei­nen Werk­zeu­gen.“ Staats-​ und Uni­ver­si­täts­bi­blio­thek Ham­burg, Be­stand Ham­bur­ger Thea­ter­samm­lung, Ar­chiv Ida Ehre / Ham­bur­ger Kam­mer­spie­le, Sign. HaKa III: Schrei­ben von Ida Ehre an Joa­chim Font­heim, 23.10.1970 [Ty­pos­kr.-​Durchschlag]. Zu einem gro­ßen Tri­umph der Schau­spie­le­rin wurde hin­ge­gen ihre drit­te Heku­ba be­zie­hungs­wei­se Heka­be, wie die Troe­rin, gemäß dem grie­chi­schen Ori­gi­nal, in der 1983 ge­spiel­ten Fas­sung hieß. Unter dem Titel „Der Un­ter­gang“ hatte Wal­ter Jens eine ra­di­kal pa­zi­fis­ti­sche Be­ar­bei­tung der eu­ri­pi­dei­schen Tra­gö­die ge­schrie­ben und diese Ida Ehre ge­wid­met.

In den 1980er-​Jahren war auch die Zeit ge­kom­men, in der Ida Ehre als Mah­nen­de und Er­in­nern­de in einer grö­ße­ren Öf­fent­lich­keit wirk­te und mit der Au­to­bio­gra­fie „Gott hat einen grö­ße­ren Kopf, mein Kind“ (1985) Zeug­nis ab­leg­te vom cou­ra­gier­ten Leben einer Frau, die nicht zu ver­ges­sen, aber zu ver­ge­ben be­reit war. Der Wirk­macht ge­spro­che­ner Dich­tung als Mit­tel, die Zeit­ge­nos­sen zu be­rüh­ren, viel­leicht gar zu läu­tern, ver­trau­te die Schau­spie­le­rin ein letz­tes Mal, als sie im Ge­den­ken an die Er­mor­de­ten am 10.11.1988 Paul Cel­ans „To­des­fu­ge“ im Deut­schen Bun­des­tag vor­trug – wäh­rend sie sich von ihrem Thea­ter­pu­bli­kum mit der Mrs. Wil­ber­forth in den „La­dy­kil­lers“ ver­ab­schie­de­te. Ida Ehre starb am 16.2.1989 Nach­ru­fe fin­den sich in der Ida Ehre Samm­lung des Leo Baeck In­sti­tuts, on­line unter: https://ar­chi­ve.org/stream/ida­eh­r­e­collec­tio01sper#page/n125/mode/2up, aus­ge­zeich­net mit den höchs­ten künst­le­ri­schen und po­li­ti­schen Eh­run­gen, wel­che der Stadt­staat Ham­burg und die Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land zu ver­lei­hen haben, 1983 wurde ihr das Große Bun­des­ver­dienst­kreuz ver­lie­hen und 1985 er­hielt sie als erste Frau die Eh­ren­bür­ger­wür­de Siehe auch den Ar­ti­kel „Lie­bes­er­klä­rung an eine alte Dame“ von Hel­mut Schmidt an­läss­lich der Ver­lei­huhng der Eh­ren­bür­ger­schaft in der Ida Ehre Samm­lung des Leo Baeck In­sti­tuts, on­line unter: http://ar­chi­ve.org/stream/ida­eh­r­e­collec­tio01sper#page/n183/mode/1up der Stadt Ham­burg.


Auswahlbibliografie


Anna Brenken, Ehre, Ida, in: Institut für die Geschichte der deutschen Juden (Hrsg.), Das jüdische Hamburg. Ein historisches Nachschlagewerk, Göttingen 2006, S. 63-64.
Anna Brenken, Ida Ehre, Hamburg 2002.
Ulrich Tukur / Ulrich Waller (Hrsg.), Nichts als Theater. Die Geschichte der Hamburger Kammerspiele, Hamburg 2003.
Wendelin Schmidt-Dengler, Die Bearbeitung der Troerinnen des Euripides durch Franz Werfel. Zur Polarität von Tragödie und expressionistischem Märtyrerdrama, in: Michael Schwidtal / Václav Bok (Hrsg.), Jugend in Böhmen. Franz Werfel und die tschechische Kultur – eine literarische Spurensuche, Wien 2001, S. 71-84.
Barbara Müller-Wesemann, „Mit der Freude zieht der Schmerz treulich durch die Zeiten.“ Die jüdische Kulturgeschichte des Hauses Hartungstraße 9-11, in: Arno Herzig (Hrsg.), Die Juden in Hamburg 1590 bis 1990. Wissenschaftliche Beiträge der Universität Hamburg zur Ausstellung „Vierhundert Jahre Juden in Hamburg“, Hamburg 1991, S. 323-332.

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Zur Autorin

Dr. phil., Theaterwissenschaftlerin, sie arbeitet an der Universität Hamburg in der Fachbereichsbibliothek Sprache, Literatur, Medien.

Zitationsempfehlung und Lizenzhinweis

Michaela Giesing, Ida Ehre und die Hamburger Kammerspiele, in: Hamburger Schlüsseldokumente zur deutsch-jüdischen Geschichte, 16.10.2017. <https://dx.doi.org/10.23691/jgo:article-210.de.v1> [05.03.2025].

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