Interview mit Roberto Kahn-Heymann, geführt von Sybille Baumbach, am 26.8.1995 [in Auszügen], FZH/WdE 384.

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    1. Ausschnitt: 2A, 34:03-39:04

    K Die GND führt Roberto Kahn-Heymnann unter seinem Pseudonym Roberto de la Barca. Unter diesem Pseudonym veröffentlichte er in Spanien mindestens drei Romane sowie weitere Beiträge in Zeitschriften, u.a. auch das Gedicht "Eterna Vendimia" (1941) in der falangistischen Zeitschrift "Yugo y Flechas". Wie es zu dieser Veröffentlichung kam, konnte im Rahmen dieses Projektes nicht geklärt werden.: Aber als das nun wegfiel…
    B: Ja.
    K: Nur Jura studieren, das führte zu nichts.
    B: Ja.
    K: Ich wäre ein kleiner Assessor irgendwo geworden…
    B: Ja.
    K: Und hätte immer in Spanien bleiben müssen.
    B: Ja.
    K: Stattdessen bin ich 1952 nach Deutschland zurückgekehrt. Bin erstmal nur gekommen, um Travemünde zu sehen, weil meine Großeltern und Eltern mir erzählten, daß sie hier jeden Sommer mit mir dort waren. Dann wollte ich das Haus in der Isestraße sehen, wo ich geboren bin, das Haus in der Hansastraße. Und dann kam ich durch Lübeck, und da stand dran, British Centre „Die Brücke“, ein Vortrag über China. Bin ich reingegangen, und hab‘ ich gedacht, was der Chinese kann, das kann ich auch, einen Vortrag halten. Und habe dann mit einem Ehepaar Mertens gesprochen, einem reizenden Ehepaar, und habe gesagt, ich bin hier, eigentlich als Tourist, ich würde Ihnen gern einen Vortrag über Spanien halten. Ich habe in Spanien selbst schon viele Vorträge gehalten. Ganz unpolitisch allerdings…
    B: Ja.
    K: Denn ich bin in vier Wochen wieder in Spanien, sonst habe ich die größten Schwierigkeiten. Spitzel gibt es überall. Und da haben sie gesagt: Einverstanden! Kommen Sie in acht Tagen, wir zahlen soundsoviel. Wir laden Sie auch zum Mittagessen ein, wir zahlen Ihnen die Hin-und Rückfahrt von Hamburg. Und das habe ich gemacht. Und als ich da war, haben sie gesagt, der Vortrag war so schön. Wir haben uns überlegt, wir werden an alle British Centre „Die Brücke“ schreiben, daß man sie nimmt. Und dann haben sie nach Neumünster und nach Kiel und nach Flensburg, wo ne „Brücke“ war, geschrieben, und ich habe in Schleswig-Holstein angefangen, Vorträge zu halten mit dem enormen Honorar von 20 Mark pro Vortrag.
    B: Ja.
    K: Aber als ich später dann, ich war immer mein eigener Manager, ich habe alle Korrespondenz selbst erledigt, und ich war 33 Mal in Deutschland und habe hun… 1300 Vorträge gehalten. Aber nicht nur in Deutschland.
    B: Ja.
    K:In der Schweiz, in Dänemark, in Österreich, in Holland, in Spanien, in Portugal, über die verschiedensten Themen: „Das Leben im modernen Spanien“, „Märchenland Spanisch Marokko Spanisch-Marokko war ein spanisches Protektorat das von 1912 bis 1956 bestand“, dann erfand meine Mutter für mich den Titel „Spanien und Portugal - Die ungleichen Geschwister“ - inzwischen kannte ich Portugal als Tourist sehr gut - „50 Jahre spanisches Theater“, „Juden und Judentum in Spanien“, „Film und Filmindustrie in Spanien“. Das war also eine ganze Reihe Titel dort.
    B: Ja.
    K: Aber immer wieder verlangt wurde „Das Leben im modernen Spanien“. [] Rausgekürzt: über die Vorträge und die notwendigen Anpassungen in der Zeit 1952 bis 1969 (inhaltlich, technisch) Ich sprach in christlichen Vereinen junger Männer, in jüdischen Gemeinden, in jüdischen Frauenvereinen. Bei Juden nahm ich allerdings kein Honorar.
    B: Mhm.
    K: Die Gemeinden waren alle noch in sehr schlechter pekuniärer Verfassung. Ich sprach in Kammertheatern, in Volkshochschulen, in Volksbildungswerken, w… in Krankenhäusern, in Lungenheilstätten, und zwar vom Saargebiet bis rauf nach Apenrade bei Dänemark, und zur anderen Seite hin von fast Böhmen, von der Grenze da Hof an der Saale und diesen Orten bis zur anderen Seite, bis Kleve und Geldern.
    B: Mhm.
    K: Ich reiste immer hin und her, immer hin und her. Oft war ich von vierundzwanzig Stunden zwanzig Stunden im Zug. Ich habe auf mancher Tournee in dreißig Betten geschlafen.
    B: […] Herr Kahn, wie waren dann Ihre ersten Eindrücke von Deutschland ‘52? K: Ja, die waren niederschmetternd. Niederschmetternd. Ich kam an in München. Und es war alles zerstört und ich konnte kein Zimmer finden. Und ich… dann wurde ich allerdings sehr nett untergebracht, sehr gut untergebracht vom Asta, der half mir von Anfang an. Gemeinde konnte mir gar nicht helfen, denn die meisten Juden waren nicht in München, sondern im Lager Wolfratshausen Das Lager Wolfrathshausen auch als Lager Föhrenwald bekannt, diente bis 1957 als Lager für jüdische displaced persons.. Das ist nahe bei Geiselgasteig, in der Gegend, da bin ich auch hingefahren und habe sie besucht. Waren alle in schrecklichem Zustand, denn alle hatten Tuberkulose oder sonst eine Krankheit, sodaß sie in Israel nicht einwandern konnten. Man hatte aber auch keine Wohnung für sie. Und ich wurde aber sehr nett im Studentenheim ah… empfangen. Ich sagte gleich, daß ich Jude bin, und freundete mich sehr an mit einem Freiherrn von Ungarn-Sternberg, mit dem ich Jahrzehnte in Verbindung stand. Heute ist er ein alter Arzt, wahrscheinlich schon im Ruhestand, in Detmold. Er war aus der berühmten baltischen Familie Ungarn-Sternberg. Aber in München wollte ich keinesfalls bleiben.
    B: Ja.
    K: Ich war doch eigentlich nur gekommen, um mir Deutschland ein bißchen anzusehen in Ferien. []



    2. Ausschnitt 2A, 40:56-43:46 (in Auszügen)

    Es ist so: Ich bin 1952 nach Deutschland gegangen. Durch Zufall hab ich den ersten Vortrag gehalten. Daraus entstanden eben die 33 Reisen nach Deutschland und die 1300 Vorträge in Mitteleuropa. 1969 aber, ich wollte noch weiter Vorträge halten, ich war ja noch jung, wurde mein Vater sehr krank, meine Großmutter war gestorben, meine Mutter war allein mit ihm, un… er war schon ziemlich alt, und so habe ich die Tourneen gelassen und bin dann bei meinen Eltern in Spanien geblieben und habe wieder angefangen, Unterricht zu geben.
    B: Mhm. []  Rausgekürzt: Arbeit als Privatlehrer in Spanien (Erwachsenenbildung, Übersetzungen) K: Und nachdem ich nun nicht mehr nach Deutschland konnte, habe ich zu meinen Eltern gesagt, unter Franco will ich aber nicht mehr leben, dann gehen wir lieber nach Portugal. []  Rausgekürzt: Vater will erst nach Pensionierung nach Portugal, über Alter und Tod der Eltern B: Und sie haben dann mit den Eltern gemeinsam in Lissabon gelebt? K: Ich habe immer mit meinen Eltern gelebt.
    B: Ja.
    K: 61 Jahre mit meiner Mutter, 35 Jahre mit meiner Großmutter…
    B: Ja.
    K:Und 64 Jahre mit meinem Vater.
    B: Ja.
    K:Nur eben dann nicht, wenn ich gerade hier war.
    B: Ja.
    K: Ich kam dreimal im Jahr hier und blieb jedesmal drei Monate.
    B: Ja.
    K: Fuhr dann aber immer zu Weihnachten oder zu jüdischen Feiertagen schnell nach Spanien.
    B: Ja.
    K: Ich fuhr fast immer im Zug.
    B: Ja.
    K: Das Fliegen war sehr teuer damals
    B: Ja.
    B: Was würden Sie sagen, wo Ihre Heimat ist? K: Das ist eine sehr schwere Frage, die ich mir gerade gestern gestellt habe. Meine Heimat ist Hamburg, ich bin ein großer Lokalpatriot, und meine Mutter war es auch.
    B: Ja.
    K: Aber ich kann nicht sagen ich fühle mich als Deutscher oder Deutschland ist meine Heimat.
    B: Mhm
    K: Die dreißig umgekommenen Verwandten hindern mich vollkommen daran…
    B: Ja.
    K:Und die sechs Millionen ermordeter Juden, obwohl ich sehr viel arische deutsche Freunde habe
    B: Ja.
    K: Mit denen ich in Korrespondenz stehe, die mich hier besuchen und die ich besuche, über ganz Deutschland und auch über das Ausland verstreut. Ich komme auch mit deutschen Nichtjuden sehr viel in Portugal zusammen, weiß aber mit Sicherheit, die waren nie Nazis, und die ganzen Familien waren schon demokratisch.
    B: Ja.
    K: Ich kann aber nicht sagen, Spanien ist ganz meine Heimat, trotzdem ich nur sieben Jahre alt war…
    B: Ja.
    K: Und ich einen spanischen Paß hab’, denn ich habe auch zuviel Unangenehmes in Spanien auch erlebt. Portugal ist erst recht nicht meine Heimat, denn ich war ja schon 47 Jahre alt, als ich hinkam, aber ich lebe sehr gerne da, und würde sehr, sehr ungern und nur gezwungenermaßen weggehen. Ich hab’ sogar mein Grab schon zwischen meinen Eltern auf dem jüdischen Friedhof gekauft. []



    3. Ausschnitt: 2B, 01:04-06:46 (gekürzt)

    B: Sind Sie religiös? K: Ja
    B: Sind Sie…
    K: Aber nicht orthodox.
    B: Ja.
    K: Ich bin gar nicht orthodox erzogen. Mein Großvater war im Kuratorium der Neuen Dammtor-Synagoge hier in Hamburg. Das, das war in der Beneckestraße, und das war die Synagoge der Traditionellen. Es gab aber noch zwei andere große, viel größere Synagogen, a-an Mitgliederzahl schon; das war die Synagoge am Bornplatz, da gingen nur meine ganz orthodoxen Verwandten hin. Das waren meine Großeltern und Eltern nicht.
    B: Ja.
    K: Und dann gab‘s noch den Tempel in der Oberstraße, in dem ich viele Vorträge gehalten habe für den NWDR, heute, ist es glaub ich nur noch Norddeutscher Rundfunk, damals war es Nordwestdeutscher Rundfunk. Und ich war sehr entsetzt, daß der Tempel verkauft worden ist von der jüdischen Gemeinde aus Mangel an Juden, und äh… noch draußen die Menora zu sehen war und drinnen so weltliche Dinge zu sprechen, war mir nicht angenehm.
    B: Ja. []  Rausgekürzt: Über die Geschichte des Tempels sowie der Dammtor-Synagoge
    K: Als ich nach Hamburg zurückkam, ‘52, gab es nur die ganz kleine Synagoge in der Kielortallee. Das war eine Privatsynagoge eines Altersheims.
    B: Ja.
    K: Die alten Leute waren ermordet worden oder gestorben, und da hat man dann aus dieser winzig kleinen Privatsynagoge die einzige gemacht.
    B: Ja.
    K: Und gegessen haben wir an den Feiertagen unter Leitung von Ober, ähm, -landesrabbiner Dr. Holzer, der auch meine Eltern schon getraut hatte, im Altersheim in der Sedanstraße. [] Rausgekürzt: Zur Frage des heutigen Standorts des jüdischen Altersheims und über die Funktion des Gebäudes in der Schäferkampfsallee (Verwaltung der jüdischen Gemeinde)B: Ja.
    K: Ich nehme aber an, daß das uralte Haus in der Sedanstraße wohl durch ein neues ersetzt ist.
    B: Jaja, jaja.
    K: Denn heute hat man doch Badezimmer.
    B: Jaja, jaja.
    K: Das hatte ja keine Badezimmer
    B: Ja.
    K:Es hatte nur ganz wenig…
    B: Ja.
    K: Also…
    B: Ja.
    K: Sanitäre Einrichtungen…
    B: Ja.
    K: Und die Leute waren aber mit allem zufrieden, denn sie hatten gerade das Lager überlebt. Es gab uralte Leute dort, die haben drei Jahre in Theresienstadt auf dem Fußboden geschlafen.
    B: Ja.
    K: Eine Freundin meiner Großmutter, mit der ich dort zusammen war, man fand gar nichts dabei, daß ganz junge Menschen - ich war 27 und sie war 80 - in einem Haus wohnen. Es war ja das einzige jüdische Haus, was es noch gab. In der Zeit waren die Judenhäuser, ich glaube, in der Bundesstraße, nur für Familien.
    B: Ja.
    K: Und dies war aber auch für Vorübergehende, und es kam mancher hierher, um Gräber zu besuchen.
    B: Ja, ja.
    K: Und die durften dann alle in der Sedanstraße essen.
    B: Ja.
    K: Man zahlte dafür, aber ich glaube, nur drei Mark.
    B: Ja.
    K: Und es war koscheres Essen, und der, vorgebetet hat der Rabbiner.
    B: Ja.
    B: Herr Kahn, hätten Sie sich zu irgendeinem Zeitpunkt vorstellen können, nach Deutschland zurückzukehren? K: Oh ja, durchaus. Durchaus. In den fünziger und sechziger Jahren konnte ich mir das durchaus vorstellen. Ich war sehr viel jünger, und hatte mich sehr gut eingewöhnt, besonders in Hamburg. Ich hätte gerne nochmal hier gewohnt, ich hatte viele Angebote, aber mein Vater wollte auf keinen Fall zurück, er konnte nicht darüber wegkommen, daß seine ganze Familie ausgerottet war.
    B: Ja.
    K: Und hat gesagt: Mutti und ich, wir können dir dahin nicht folgen. Da habe ich gesagt: Dann gehen wir nach Portugal, da könnt ihr mir hinfolgen. Aber ich wäre gerne Hamburg gezogen, ja.
    B: Ja.
    K: Man hat zu der Zeit uns Juden sogar einen bestimmten und ziemlich hohen Betrag angeboten und eine billige Wohnung, wenn wir uns verpflichteten, hier zu leben und hier ein Geschäft aufzumachen.
    B: Ja.
    K: Das hätte ich gemacht. Vielleicht ein Buchgeschäft.
    B: Ja.
    K: Aber ich wollte meine Eltern doch nicht definitiv verlassen.
    B: Ja.
    K: Ich war der einzige Sohn, und…
    B: Ja.
    K: Meine Großmutter war schon sehr, sehr alt, meine Eltern waren ältere Leute, hatten keine weiteren Verwandten als mich.
    B: Ja.
    K: Und da wollte ich nicht, daß wir uns trennen.
    B: Ja.
    K: Aber das hätte ich mir durchaus vorstellen können.
    B: Tatsächlich?
    K: Ich hatte so viel gut jüd...
    B: Obwohl…?
    K: So viel gute christliche Freunde. Außerdem hat es, als ich den jüdischen Jugendclub in Hamburg gegründet hab, 1952, waren wir 27 junge Juden, die heute wahrscheinlich 27 alte Leute sind, wenn sie noch leben, aber nicht einer ist geblieben. Sie sind alle nach Palästina weiter gewandert, nach Kanada, nach Nordamerika
    B: Ja.
    K: Ich habe keinen mehr gefunden, ich habe mich erkundigt.
    B: Ja.
    K: Ich habe auch die Listen durchgesehen. Und als ich dann später noch hier war, hat’s mich weniger interessiert, weil ich gar keine Freunde mehr hatte, die meisten Juden Perser und andere Ausländer waren, äh, keine Aschkenasim, keine Hamburger, da war auch kein Kontakt mehr.
    B: Ja.
    K: Da hat mich immer noch weiter Ida Ehre gelockt mit den Kammerspielen, Inge Meysel, die auch Jüdin ist, äh, andere Schauspieler, ich kannte Ernst Deutsch sehr gut, nach dem heute ja ein Theater heißt.
    B: Ja
    K: Aber dann waren zuviel Jahre auch wieder dafür vergangen.
    B: Ja.
    K: Und heute möchte ich doch nun bleiben, wo ich bin, nachdem ich endlich zur Ruhe gekommen bin mit 70.
    B: Ja, ja.
    K: Ich bin jetzt 70 geworden.
    B: Ja.
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    Quellenbeschreibung

    Roberto Kahn-Heymann wurde 1925 in Hamburg geboren, die Familie wohnte zunächst in der Isestraße, später in der Hansastraße. Der Vater war Mitglied im Kuratorium der neuen Dammtor-Synagoge, Roberto Kahn-Heymann besuchte die Talmud-Tora-Schule. Der Vater wanderte aufgrund der zunehmenden antisemitischen Anfeindungen bereits um 1930 nach Spanien aus, wo er bereits bis 1919 einige Jahre gelebt hatte, die Mutter und Roberto Kahn-Heymann folgten um 1932. Die Familie lebte zunächst in Barcelona, dann in Madrid. 1952 reiste Roberto Kahn-Heymann das erste Mal nach Deutschland und begann dort Vorträge für die British Centres („Die Brücke“) zu halten. 1969 kehrte er aufgrund der Krankheit seines Vaters nach Spanien zurück und lebte ab 1972 in Portugal. Das Interview gab er im Rahmen eines Hamburg-Aufenthaltes 1995 Weitere Interviews aus der Werkstatt der Erinnerung finden sich hier.

    Empfohlene Zitation

    Interview mit Roberto Kahn-Heymann, geführt von Sybille Baumbach, am 26.8.1995 [in Auszügen], FZH/WdE 384., veröffentlicht in: Hamburger Schlüsseldokumente zur deutsch-jüdischen Geschichte, <https://schluesseldokumente.net/quelle/jgo:source-263> [27.04.2024].