Mit freundlicher Genehmigung des Wilhelm Heidsiek Verlag, Cuxhaven. Zuerst veröffentlicht in in der vom Verfasser herausgegebenen deutsch-jüdischen Kinderzeitschrift Bar Kochba: http://sammlungen.ub.uni-frankfurt.de/cm/periodical/pageview/2276677
Schließlich kamen sie in die
schon
lange. Denn seine großen Freunde hatten ihn mehrmals dorthin
mitgenommen. In die
und Indianer spielen. Denn da stand zu beiden
Seiten ein Karren neben
dem andern, jeder hochbeladen mit irgendwelchen Waren.
Auf dem
einen wurden Stiefel verkauft, und auf dem anderen Töpfe, und
daneben
stand wieder einer, dessen Besitzer mit Zitronen handelte, und
der
gegenüber hatte sogar ganze Anzüge zu verkaufen. Und so ging es fort,
neben dem andern, sodaß man kaum dazwischen durch gehen konnte.
Um
jeden Karren herum aber standen immer eine Menge Leute, solche,
die etwas kaufen
wollten und andere, die nur neugierig waren, oder dem
Käufer einen guten Rat
erteilen wollten. Jeder Verkäufer und jede Ver-
käuferin schrie dazu mit lauter
Stimme und pries die Waren an, sodaß es
immer ein Höllenlärm war.
Wie
erstaunt war daher Moses, als sie jetzt in die
da
stand nicht ein einziger Karren, und nicht ein einziger Verkäufer
schrie seine
Ware aus. Es war ganz so, wie es in andern Straßen am
Sonntag war, die meisten
Läden waren geschlossen, und die meisten
Leute, die auf der Straße gingen,
hatten genau so ihre besten Kleider an,
wie Herr Silbermann und die beiden
Jungen. So gelangten sie in ein
großes graues Gebäude, in dessen Tor alle die
Männer und Frauen hin-
eingingen. Und wenn Moses nicht gesehen hätte, daß das
Haus aussah
wie andere Häuser auch, und nicht etwa auf dem Dache einen
großen
Turm hatte, so hätte er geglaubt, es müsse wohl eine Kirche sein, in
die
all diese Leute hineingingen.
Durch einen dunklen Vorraum gelangten sie
in das Innere des Gebäu-
des. Eine Tür öffnete sich, und sie traten in einen
großen, geheimnisvoll
erleuchteten Raum. Moses Pipenbrink war jetzt überzeugt,
daß sie in
eine Kirche gekommen waren. Die langen Reihen von Bänken, die
vielen
Leuchter, in denen trüb brennende Gasflammen waren, die Stille,
die
trotz der vielen Menschen herrschte, erinnerte ihn sofort an die Kirche
in
Denn wenn man hier nach
oben sah, dann schien es, als gäbe es hier
gar kein Dach, und als höben sich die
Mauern direkt bis in den dunklen
Nachthimmel, an dem kein Stern stand. Moses
wurde es ganz andäch-
tig zu Mute und unwillkürlich tat er, wie er es von den
Leuten gesehen
hatte, die in die Kirche gingen: er zog die Mütze ab. Aber schon
hatte sie
David Silbermann ihm wieder aufgesetzt. „Hier ist keine Kirche“,
flüster-
te er ihm beinahe erschrocken zu, „hier ist eine Synagoge!“
Und
obgleich Moses dieses Wort nicht verstand, sah er jetzt auch, dass
alle
andern ihre Hüte aufbehalten hatten, und er ahnte dunkel, daß er
hier
etwas erleben würde, was ihm noch nicht begegnet war. Immer mehr
Leute
kamen. Bald bemerkte Moses auch, daß ringsan den Mauern
lich fing da
vorn, wo prächtige Marmorsäulen zu einem Schrank empor-
führten, den ein
schwerer seidener Vorhang verhüllte, eine Stimme
zu singen an. Die Stimme war so
rein und so süß, wie Moses noch keine
gehört hatte, und obgleich sie ganz leise
und innig anfing, schwebte sie
doch über den Köpfen der Versammelten bis in die
verstecktesten Win-
kel des großen Hauses und war überall gleich schön und
lieblich zu
hören. Und als diese Stimme eine Zeitlang in einer Sprache
gesungen
hatte, die Moses nicht verstand, erschallte plötzlich aus der Höhe
der
vielstimmige Gesang vieler Männer und Knaben, die nun abwechselnd
mit
dem Sänger da vorn ein Lied zu singen schienen. Das war alles ganz
so ähnlich
wie in der Kirche. Nur dass hier in einer fremden Sprache
gesungen wurde, und
daß es keine Orgel gab, die den Gesang beglei-
tete. Als das Lied bei seiner
letzten Strophe angelangt war, drehten sich
alle Leute um und verneigten sich
gegen die Tür, sodaß es aussah, als
ob dort irgend jemand hereinkäme, den man
ehren wolle. Moses tat wie
die andern und war erstaunt, als niemand durch die
Tür kam, und die
Leute sich wieder umdrehten. Er wagte kein Wort zu reden, aber
er
mußte wohl Herrn Silbermann fragend angesehen haben, denn dieser
beugte
sich zu ihm herab und sagte: „Eben ist die Prinzessin Sabbath
hereingekommen!“ – „Ich habe sie aber
nicht gesehen,“ sagte
Moses erstaunt und drehte sich schnell noch einmal um,
vielleicht, daß
sie jetzt noch in der Tür stand. „Du kannst sie auch nicht
sehen,“ antwor-
tete Herr Silbermann, „denn die Prinzessin ist für gewöhnliche
Menschen
unsichtbar, nur wenn man ein Glückskind ist, erscheint sie einem
einmal
im Leben.“ – Moses machte große Augen. Aber er nahm sich jetzt
noch
mehr zusammen, saß ganz grade da und sah starr und steif
geradeaus.
Denn so viel wußte er schon, dass man sich besonders gesittet
beneh-
men muß, wenn eine Prinzessin da ist. Aber ganz tief drinnen in
seinem
Herzen sagte er sich doch, dass es sehr dumm wäre, daß all
diese
Leute in einer Sprache sangen und beteten, die er nicht verstand.