Verbot von Museumsbesuchen für Juden

Olaf Matthes, Christina Ewald

Quellenbeschreibung

Am 9.12.1941 schrieb Alfred Borchardt, ein Hamburger Jude, einen Brief an das Museum für Hamburgische Geschichte. Er spricht darin mehrere Aspekte der nationalsozialistischen Verfolgungspolitik an, die Juden betrafen. Zunächst fragt er nach einer Möglichkeit, trotz eines Verbotes Museumsbesuche für Juden zu ermöglichen und unterbreitet zugleich einen Vorschlag für die Umsetzung solcher Besuche. Der zweite Aspekt bezieht sich auf wertvolle (historische) Gegenstände mit einem Hamburg-Bezug (sogenannte Hamburgensien), die sich laut Borchardt im Privatbesitz von Juden befunden hatten, bevor diese deportiert wurden. Schließlich weist er darauf hin, dass bei der Verauktionierung diese Gegenstände von Laien erworben werden könnten. Alfred Borchardt unterschrieb mit seinem Namen und dem Zusatz „Israel“ sowie einer Kennkartennummer. Rechts oben befindet sich der Museumseingangsstempel vom 10.12.1941, links unten notierte der Museumsdirektor Otto Lauffer mit lilafarbenem Stift, dass das Schreiben zu den Akten gelegt werden soll.
  • Olaf Matthes
  • Christina Ewald

Alfred Borchardt


Alfred Borchardt (1870–1942) stammte aus einer jüdischen Familie in Mecklenburg. Er wurde in Schönberg als ältestes der vier Kinder von Isaac Isidor Borchardt (1840–1892) und Emma, geborene Ascher (1843–1924), geboren. Die Familie lebte seit Mitte der 1870er-Jahre in Hamburg, wo die beiden jüngsten Geschwister Alfreds zur Welt kamen. Borchardt wurde Kaufmann in Hamburg und handelte mit Lacken, Farben und Schiffsausrüstung. Er heiratete die in Hamburg geborene Clara Wittmund (1875–1944), mit der er drei Kinder hatte (Isaac Theodor (1900–1941), Louise (1901–1941), Hans (1908–1941)). Die Borchardts wohnten, allerdings nicht ohne familiäre Unterstützung, gutsituiert in einer Vier-Zimmer-Wohnung in der Feldstraße 58. Sein jüngerer Bruder Richard war Reeder und seit 1926 Inhaber der Fairplay Schleppdampfschiffsreederei im Hamburger Hafen. Bis 1933 waren die Borchardts erfolgreiche Kaufleute und gehörten zu den geachteten jüdisch-bürgerlichen Familien Hamburgs.

Nach der Machtübertragung an die Nationalsozialisten und der beginnenden sozialen wie wirtschaftlichen Ausgrenzung und Verfolgung von Juden, musste auch Alfred Borchardts Familie den Handel und später die Wohnung aufgeben. Nach mehreren Umzügen lebte sie schließlich in einem der sogenannten Judenhäuser in einer Ein-Zimmer-Wohnung. Alfred Borchardt finanzierte den Lebensunterhalt seiner Familie fortan wohl vor allem durch Englischunterricht, den Juden in Vorbereitung auf ihre Auswanderung bei ihm belegten. Durch einen zweijährigen London-Aufenthalt nach der Schule beherrschte er die englische Sprache. Außerdem erhielt die Familie finanzielle Unterstützung durch Angehörige, beispielsweise vor 1933 durch Richard Borchardt und später auch durch den Sohn Theodor, der als erster Maschinist bei verschiedenen Hamburger Reedereien tätig war.

Das Verbot für Juden Museen zu besuchen


Ende 1938 erreichte die Ausgrenzung der jüdischen Bevölkerung einen neuen Höhepunkt. Am 28.11.1938 wurde eine reichsweite Polizeiverordnung veröffentlicht (Reichsgesetzblatt I. S. 1676), die es nunmehr Juden verbot, „bestimmte Bezirke [] [zu] betreten oder sich zu bestimmten Zeiten in der Öffentlichkeit [] [zu] zeigen“. In der Auslegung des Berliner Polizeipräsidenten vom 3.12.1938 erstreckte sich dieses Verbot zudem auf Theater, Kinos und Museen. Die Berliner Maßnahme ist möglicherweise der Auslöser für den Hamburger Gauamtsleiter Hellmuth Becker gewesen, das Rechtsamt der Gemeindeverwaltung Hamburg zu ersuchen, Juden den Besuch und die Benutzung von Museen und wissenschaftlichen Einrichtungen zu verbieten. Indirekt bemängelt Becker dabei, dass eine solche Maßnahme bisher nicht durch den Reichserziehungsminister auf Reichsebene unternommen wurde, weshalb Hamburg eigenständig handeln solle. Doch das Rechtsamt lehnte den Vorschlag mit der Begründung ab, dass antijüdische Maßnahmen nicht auf lokaler Ebene, sondern durch das Reich entschieden würden, um ein Durcheinander örtlicher Bestimmungen zu vermeiden und zeigte sich zugleich optimistisch, dass die Unklarheiten in der Auslegung bald auf Reichsebene geklärt würden. Ob und wann es eine entsprechende Regelung gegeben hat und wann diese in Hamburg umgesetzt wurde, ließ sich in den Hamburger Verwaltungsakten bisher nicht nachweisen. Bekannt ist lediglich, dass es Juden schließlich verboten wurde, die Hamburger Museen zu besuchen.

Es ist nicht mehr nachzuvollziehen, warum Alfred Borchardt diesen Brief im Dezember 1941 an das Museum für Hamburgische Geschichte schrieb. Ebenso unklar bleibt, welchen konkreten Bezug Borchardt zu diesem Museum hatte. Möglicherweise stellte gerade dieses Museum für ihn – wie für so viele andere Hamburger auch – einen zentralen Identifikationsort dar, in dem er sich zudem über zahlreiche Themen der Stadt zumindest bis 1938 unterrichten konnte. Vielleicht sah es Borchardt auch aus diesen Gründen als seine „bürgerliche“ und „vaterstädtische“ Pflicht an, auf die Gefahr des Verschwindens wertvoller Hamburgensien hinzuweisen – in einer Zeit, in der bürgerliche Grundwerte überall im Deutschen Reich für Juden schon lange nicht mehr galten.

Das Museum reagierte in dieser Sache so, wie die vorgesetzte Kulturverwaltung es verlangte. Seit 1941 war es Museumsmitarbeitern untersagt, Kontakt mit Juden zu pflegen. Direktor Otto Lauffer verfügte persönlich, dass der Brief Borchardts zu den Akten gelegt werden solle. Borchardt erhielt somit kein Antwortschreiben. Sein Brief ist zudem der einzige dieser Art im Archiv des Museums für Hamburgische Geschichte für das Jahr 1941. Es ist möglicherweise auch einer der letzten Versuche eines Hamburger Juden gewesen, den vollständigen Ausschluss aus der städtischen Gesellschaft zu durchbrechen. Borchardt scheint also noch gestalterische Möglichkeiten als Jude gesehen zu haben. Die Konsequenz, mit der das nationalsozialistische System Juden rechtlich diskriminierte und schließlich deren Vertreibung und Vernichtung betrieb, wollte Borchardt scheinbar (noch) nicht wahrhaben. Wie bei so vielen anderen in der Kaiserzeit sozialisierten Juden überstieg dieser radikale Kulturbruch offensichtlich auch seine Vorstellungswelt. Nur so lässt sich vielleicht erklären, dass er am 9. Dezember 1941 noch die Hoffnung besaß, dass das Museum für Hamburgische Geschichte und städtische Museumsbeamte auf seine Hinweise in Bezug auf Hamburgensien-Sammlungen von Juden reagieren würden. Das Schreiben verfasste Borchardt zudem just drei Tage nach dem Transport von 753 Hamburger Juden nach Riga. Zusammen mit den vorhergehenden Transporten nach Łódź und Minsk war nun fast die Hälfte der im Oktober 1941 noch knapp 6.000 in Hamburg lebenden Juden Richtung Osten deportiert worden.

Hamburgensien aus jüdischem Besitz


Faktisch bewirkte Borchardt mit seinem Schreiben nichts. Vielleicht wusste er noch nicht einmal von dem Kontaktverbot für Museumsmitarbeiter. Doch wusste Borchardt um die Deportation von Hamburger Juden in den Osten – er verwendet in seinem Brief mit dem Terminus „evakuieren“ selbst eine der offiziellen Bezeichnungen des Regimes für diese Aktionen. Und er wusste auch, dass Besitzer der allermeisten Hamburgensien-Sammlungen, auf die er in seinem Brief verwies, gezwungen waren oder wurden, weit unter Wert zu verkaufen. Und vielleicht wusste er auch, dass der zurückgelassene private Besitz spätestens nach der Deportation seitens der Behörden beschlagnahmt wurde. Eine solche Praxis betraf nicht nur jüdische Sammler aus Hamburg, sondern war im ganzen Deutschen Reich üblich. Legalisiert wurden diese Unrechtsakte durch zahlreiche Verordnungen und Gesetze der Nationalsozialisten. Die Sorge Borchardts, dass bedeutende Hamburgensien verloren gehen könnten, war durchaus berechtigt. Seit Oktober 1938 durften Museen keine Schenkungen und Zuwendungen mehr von Juden annehmen. Juden wurden seit 1938 gezwungen, nach und nach ihren gesamten Edelmetallbesitz abzugeben. In vielen Sammlungen mit Hamburg-Bezug befand sich auch immer wieder wertvolles Kunstgewerbe aus Edelmetall. Vielleicht hatte Borchardt auch darüber Kenntnisse, dass Hamburg – wie alle anderen Gemeinden des Deutschen Reiches – dazu verpflichtet war, Edelmetalle an zentrale Sammelstellen abzugeben, das dann für Kriegszwecke verwertet wurde. Zudem hat er sicher auch von den zahlreichen Auktionen erfahren, bei denen Kunst- und Kulturbesitz aus jüdischem Besitz zu Schleuderpreisen weggegeben wurde – und viele Hamburger sowie fast alle Museen des Deutschen Reiches sich daran ganz offiziell beteiligten. Dies wurde staatlicherseits zudem durch entsprechende Zuschüsse oder durch Sondermittel ausdrücklich gefördert. Beispielhaft steht hierfür ein Schreiben der Hamburger Kulturverwaltung, in dem der Hamburger NSDAP-Gauleiter und Reichsstatthalter Karl Kaufmann den Auftrag erteilte, „auf Juden-Auktionen Kunst- und Altertumsgegenstände, die in ihren Sammlungsbereich fallen, zu kaufen“. Die Kämmerei habe „für diese Zwecke besondere Mittel zur Verfügung“ Hamburger Kulturverwaltung (Stadtamtmann Lohmann) an den Landeskulturwalter vom 5.12.1941, in: Asschenfeldt/Matthes, Quellen, S. 193. Weder der genaue Umfang noch die konkrete Verwertung dieser Mittel seitens der Hamburger Museen ist bisher geklärt. zu stellen. Von dieser Maßnahme konnte Borchardt nichts wissen. Die Leitung des Museums für Hamburgische Geschichte muss seinem Schreiben schon allein aus diesen Gründen in Bezug auf die Sicherung von Hamburgensien keine Bedeutung beigemessen haben.

Die Deportation Borchardts


Borchardt scheint den generellen Ernst der Lage für Juden in Deutschland nicht in seinem ganzen Ausmaß und vor allem den damit verbundenen Konsequenzen erkannt zu haben. So ist aktenkundig, dass er 1940 mit dem nationalsozialistischen Gesetz in Konflikt kam, als er dem deutschen Konsulat in Amsterdam einen Brief schrieb, ohne allerdings den seit 1. Januar 1939 obligatorischen männlichen Namenszusatz „Israel“ sowie die Kennkartennummer anzugeben. Ursprünglich wurde er für dieses Vergehen zu einer Geldstrafe von 50 Reichsmark verurteilt, die er durch einen Einspruch und die Beteuerung, in Unkenntnis gehandelt zu haben, jedoch auf 25 Reichsmark reduzieren konnte.

Es ist unbekannt, ob Borchardt je daran dachte, Hamburg zugunsten eines sicheren Landes zu verlassen. Er tat es nicht. Und so gehörten er und seine Frau Clara nach der Wiederaufnahme der Judendeportationen aus Hamburg am 15. Juli 1942 zu jener Gruppe, die in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert wurden. Kurz darauf kam es zur Versteigerung des zurückgebliebenen Besitzes der Borchardts bei dem Hamburger Auktionshaus Schopmann & Sohn. Der Auktionsertrag betrug 942 Reichsmark; er wurde am 15. Oktober 1942 an die Oberfinanzkasse Hamburg überwiesen.

Alfred Borchardt kam am 16. Dezember 1942 in Theresienstadt ums Leben, seine Frau wurde dort am 19. März 1944 ermordet . Ihre Kinder starben bereits vor ihnen: Isaac Theodor am 8. Juni 1941 in Hamburg, Louise (verheiratete Wartelski) am 30. September 1941 in Warschau und Hans im November 1941 in Minsk.

Der Brief Alfred Borchardts gehört zu den wenigen bisher bekannten Zeugnissen aus der Zeit größter nationalsozialistischer Machtentfaltung, die eindrücklich illustrieren, wie ein Bürger jüdischen Glaubens trotz außerordentlicher Gefahr für die eigene Person versuchte, den gesetzten „Rechtsrahmen“ des NS-Staates auf lokaler Ebene zumindest ein wenig zu lockern. Zwar gelang ihm dies nicht, doch sein Schreiben steht symbolisch für das Bemühen deutscher Juden, Änderungen ihrer Situation vor Ort zu erreichen.

Auswahlbibliografie


Victoria Asschenfeldt/Olaf Matthes (Hrsg.), Quellen zur Geschichte des Museums für Hamburgische Geschichte, Hamburg 2014, S. 193–196.
Jörn Grabowski, „‚Versäumen Sie Ihren arischen Nachweis nicht!‘ Die Staatlichen Museen zu Berlin und ihr Umgang mit Bürgern jüdischer Abkunft 1933–1945“, in: Jörn Grabowski / Petra Winter, Zwischen Politik und Kunst. Die Staatlichen Museen zu Berlin in der Zeit des Nationalsozialismus, Köln u. a. 2013, S. 29–51.
Ina Lorenz/Jörg Berkemann, Die Hamburger Juden im NS-Staat 1933 bis 1938/39, Bd. VI, Göttingen 2016, S. 285–288.
Ingo von Münch (Hrsg.), Gesetze des NS-Staates. Dokumente eines Unrechtssystems, Paderborn 31994, S. 133–134.
Joseph Walk (Hrsg.), Das Sonderrecht für die Juden im NS-Staat. Eine Sammlung der gesetzlichen Maßnahmen und Richtlinien – Inhalt und Bedeutung, Heidelberg u. a. 22013.

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Zu den Autoren

Olaf Matthes, Dr. phil., ist Leiter der fotografischen Sammlung und des Archivs am Museum für Hamburgische Geschichte. Seine Forschungsschwerpunkte sind die Hamburger Stadtgeschichte des 19. und 20. Jahrhunderts, Museums- und Wissenschaftsgeschichte sowie das Mäzenatentum.

Christina Ewald, M. A., ist Doktorandin am Fachbereich Geschichte der Universität Hamburg und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Museum für Hamburgische Geschichte. Ihre Forschungsschwerpunkte sind die Hamburgische Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts sowie Alltagsgeschichte.

Zitationsempfehlung und Lizenzhinweis

Olaf Matthes, Christina Ewald, Verbot von Museumsbesuchen für Juden, in: Hamburger Schlüsseldokumente zur deutsch-jüdischen Geschichte, 02.08.2017. <https://dx.doi.org/10.23691/jgo:article-200.de.v1> [20.04.2024].

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